Zehn Thesen zur Christenverfolgung
Der Politologe Andreas Püttmann
gibt Antworten auf brisante Fragen unserer Zeit.
Was unterscheidet christliche Märtyrer von
muslimischen Fanatikern? Warum braucht der Westen heute Christen mit
Bekennermut? Und warum wird es immer Christenverfolgungen geben? Der
Politikwissenschaftler Dr. Andreas Püttmann gibt im folgenden Beitrag Fragen auf
diese Antworten. Der Text basiert auf einem Vortrag, den der Verfasser beim
diesjährigen Kongress „Freude am Glauben“ des Forums Deutscher Katholiken in
Fulda gehalten hat.
„Mein Glaube war nicht käuflich“ -
Zehn Thesen zur Christenverfolgung
1. Jesu Leben als Urbild von Verfolgung und Martyrium
Verfolgung und Martyrium um des Glaubens willen gehören von der Geburtsstunde
des Christentums an zu seinen Grunddimensionen. Jesus selbst war ein Verfolgter,
und zwar seit frühester Kindheit, als Herodes’ Häscher Maria und Josef zur
Flucht nach Ägypten ins Exil trieben. In seiner Heimat Nazareth provoziert der
Gottessohn gefährliche Empörung: „Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt
hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges (...) und wollten ihn
hinabstürzen“ (Lk 4,29). Jesu unerschrockene, manchmal auch anprangernde Reden
rufen insbesondere beim religiösen Establishment Widerspruch und Wut hervor und
schließlich – begünstigt durch Verrat in den eigenen Reihen – eine tödliche
Gegenreaktion: Die Hohenpriester suchen und finden eine Möglichkeit, „Jesus mit
List in ihre Gewalt zu bringen, um ihn zu töten“ (Mk 14,1). Jesus Christus ist
gleichsam das Urbild des christlichen Märtyrers.
2. Bedrängnis als Normalfall christlicher Weltexistenz
Im Johannesevangelium (15,20) sagt Jesus seinen Jüngern voraus: „Der Sklave ist
nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch
verfolgen“. Bei Matthäus (10,16ff) warnt Jesus die Seinen: „Seht, ich sende euch
wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt euch vor den Menschen in acht! Sie
werden euch vor die Gerichte bringen und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr
werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt, damit ihr vor ihnen
und den Heiden Zeugnis ablegt“. Ähnlich heißt es bei Lukas (21,12):
„Man wird euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens
willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor
Könige und Statthalter bringen.“ So geschah es. Petrus und die Apostel aber, vor
den Hohen Rat zitiert, sprechen unerschrocken „die Grundformel der christlichen
Freiheit des Individuums“ aus: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“
(Apg 5,29).
Joaquín Alliende, geistlicher Leiter von „Kirche in Not“, erinnerte jüngst
daran, dass die Bedrängnis biblisch-historisch nicht als Ausnahme, sondern als
Normalfall christlicher Existenz zu betrachten ist: „Der Teufel existiert und
kämpft unermüdlich weiter gegen Christus und die Seinen. (...) Wenn die Kirche
ihrem Bräutigam Jesus treu bleibt, dann ist es nicht verwunderlich, dass sie
verfolgt wird. Überraschender und besorgniserregender wäre es, wenn sie nicht
verfolgt würde und die Mächtigen der Welt, die heute in den Massenmedien ein
privilegiertes Sprachrohr finden, ihr applaudierten“. Anders gesagt: eine
Kirche, an der man sich nicht mehr reibt, die in der säkularen Öffentlichkeit
nicht mehr aneckt, muss sich fragen, was sie falsch gemacht hat. Das Idealbild
des Bischofs ist insofern nicht der populäre Bürgermeister-Typ, sondern der
verpönte Störenfried des bequemen Konsenses und der moralischen Abstumpfung. Ich
brauche ja wohl keine Namen zu nennen.
3. Die theologische Dimension der Verfolgung
Jesus verspricht: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und
verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt:
Euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt 5,11f). Denn: „Wer sich nun vor den
Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel
bekennen“ (Mt 10,32). Dort wird man die Blutzeugen zu jenen zählen, die nach der
Offenbarung des Johannes (7, 14-17) vor dem Thron Gottes stehen: „Es sind die,
die aus der großen Bedrängnis kommen. Sie haben ihre Gewänder gewaschen und im
Blut des Lammes weiß gemacht. (...) Sie werden keinen Hunger und keinen Durst
mehr leiden, (...) und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen“.
Im Einklang mit diesen Verheißungen nannte Pater Werenfried van Straaten die
verfolgten Christen „die Elite der Kirche (...). Das Leiden der Märtyrer kommt
allen zugute. Daher ist es eine hohe Auszeichnung, um des Namens Jesu willen
Schmach zu leiden, mit dem leidenden Herrn verbunden zu sein und an seinem
Erlösungswerk teilzunehmen“ .
Auch Jesus erlöste uns nicht durch Worte und Handlungen, sondern durch sein
Leiden, betonte Papst Benedikt XVI. jüngst in einem Brief an einen schwer
kranken Bischof, der mutig jahrzehntelanger Anfeindung trotzte, und fuhr fort:
„Wenn der Herr Dich nun gleichsam mit auf den Ölberg nimmt, dann sollst Du doch
wissen, dass Du gerade so ganz tief von seiner Liebe umfangen bist und im
Annehmen Deiner Leiden ergänzen helfen darfst, was an den Leiden Christi noch
fehlt“ .
Auch alle verfolgten Christen ergänzen – gemäß dem tiefgründigen Pauluswort (Kol
1, 24) – in ihrem Leib, „was an den Leiden Christi noch mangelt“. Und wo sie
lebensbedrohliche Aggressionen erleiden, die Schiller in den Satz goss: „Gewalt
ist für den Schwachen jederzeit ein Riese“ (Don Carlos), da mag sie Jesu Wort
stärken: „Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber darüber hinaus
nichts weiter zu tun vermögen“ (Lk 12,5).
4. Christenverfolgung und Nächstenliebe
Christliches Widerstehen im Glauben bis hin zum Opfer des Lebens stellt auch
eine Form des Dienstes am Nächsten und am Gemeinwohl dar: Es lenkt den Blick der
Mitmenschen auf die letzte Wahrheit und eine letzte Realität. Es ist ein Zeichen
der Absolutheit Gottes und damit eine notwendige Antwort auf den Relativismus.
Die von der Kirche mit Sorgfalt zusammengetragenen Akten der Märtyrer bilden –
so der Weltkatechismus (Ziff. 2474) – „die mit Blut geschriebenen Archive der
Wahrheit“.
Schon Tertullian bezeichnet das Martyrium als „den Samen für neue Christen“,
durch den die standhaften Bekenner anderen den Weg zur Wahrheit und damit zu
einem Leben in Fülle eröffnen. Und denjenigen, deren Glaube lau geworden ist,
werden die Verfolgten zur lebendigen Katechese „dafür, dass Christsein mehr
bedeutet, als auf Erden anständig zu leben. Sie sagen uns mit ihrer Existenz,
dass der Glaube eine Sache auf Leben und Tod ist“.
Dennoch sucht der Christ nicht das Martyrium so wie es manche muslimischen
Fanatiker heute blutrünstig demonstrieren – und schon gar nicht auf Kosten
anderer. Der christliche Märtyrer ist das Gegenteil des Selbstmordattentäters,
der aus Hass tötet und stirbt und Unschuldige mit in den Tod reißt. Das
christliche Martyrium ist der Extremfall der Liebe.
„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde
hingibt“ (Joh 15,12-13). Paulus betont im Ersten Korintherbrief: „Wenn ich
meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir
nichts“ (1 Kor 13,3). Ein christliches Martyrium ist zunächst der höchste
Liebesbeweis gegenüber Gott, kann aber auch aus Nächstenliebe erwachsen.
Pater Maximilian Kolbe sollte nicht Gott, der Kirche oder seinem Glauben
abschwören. Er gab sein Leben freiwillig für einen Familienvater, der erschossen
werden sollte. Er hatte das Martyrium nicht gesucht, war aber von Gott
offensichtlich gut genug darauf vorbereitet worden. Das Martyrium ist kein
reines Menschenwerk, sondern der Gnade Gottes zuzuschreiben: Im Philipperbrief
(1,29) betont Paulus: „Denn euch wurde die Gnade zuteil, für Christus dazusein,
also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden“.
Fast übermenschlich ist auch die Liebe, die Jesus den verfolgten Christen im
Verhältnis zu ihren Peinigern predigt und vorlebt: „ Ich aber sage euch: Liebt
eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters
im Himmel werdet“ (Mt, 5,44). So haben die Märtyrer der Kirche im Sterben ihren
Mördern verziehen. In Stephanus’ Gebet: „Herr, rechne ihnen dies Sünde nicht
an!“ (Apg 7,60) hallt Jesu Bitte auf Golgatha wider: „Vater, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).
Die Feindesliebe soll sich aber schon weit vor dem Martyrium manifestieren,
nämlich indem Christen ihrer Unterdrückung nicht wütend, verbittert und
zähneknirschend widerstehen, sondern hoffnungsfroh, maßvoll und vernünftig
argumentierend. Jesus ließ sich vom Knecht des Hohenpriesters nicht einfach
schlagen, schlug aber auch nicht zurück, sondern stellte seinen Peiniger zur
Rede: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es
aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Joh, 18,23).
5. Tugenden gläubigen Widerstehens unter Verfolgung
Schon in römischer Zeit warnten Bischöfe die Gläubigen davor, sich von
vornherein und auf eigene Faust nach dem Martyrium zu drängen und dafür den
Willen Gottes in Anspruch zu nehmen. Der menschlichen Schwäche wegen wäre es
unklug, und wegen des Wertes jedes Menschenlebens unmoralisch, sich leichtfertig
oder mutwillig in eine existenzgefährdende Situation zu bringen. Die meisten
Märtyrer hatten durchaus eine gesunde Angst vor einem Schicksal, dass die
menschlichen Kräfte im Normalfall übersteigt.
Etliche fielen im letzten Moment ab. Tugendethisch gesprochen, bedarf die
Tapferkeit im Zeugnisgeben daher der anderen Kardinaltugenden Klugheit,
Gerechtigkeit und Mäßigung, um nicht in Tollkühnheit umzuschlagen. „Seid daher
klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“, mahnt der Herr (Mt 10, 16).
Zu dieser Klugheit gehört auch eine nüchterne Kalkulation der Kräfteverhältnisse
und ein gewissenhaftes Abwägen aller Folgen. In den christlichen Lehren vom
gerechtfertigten Widerstand gegen ungerechte Staatsgewalt werden strenge
Bedingungen an den Einsatz von Waffengewalt gestellt: Neben dem sicheren Wissen
um eine schwerwiegende und andauernde Verletzung von Grundrechten (1.) sind dies
die Ausschöpfung aller anderen Hilfsmittel (2.), die Vermeidung noch schlimmerer
Unordnung als Folge (3.), die Aussicht auf Erfolg (4.) und der Mangel an
vernünftigen Alternativen (5.).
Wo Christen heute unterdrückt werden, fehlt es einem bewaffneten Widerstand fast
immer an der Aussicht auf Erfolg, da Verfolgung typischerweise in einer
Minderheitssituation droht, die militärische Unterlegenheit einschließt. Der
Regelfall christlicher Antwort auf Unterdrückung der Religionsfreiheit oder
Verbrechen gegen die Menschlichkeit muss daher ein geistiger Widerstand sein:
Bekundung weltanschaulicher Distanz, verweigerte Mitwirkung, Hilfe für die
Opfer, Gebet für Verfolgte und Verfolger. Das Opfer des Lebens bleibt
demgegenüber nur Extremfall.
Christen können dazu beitragen, Unrechts- und Verfolgungssituationen erst gar
nicht entstehen zu lassen, indem sie, sofern oder solange es in einer
Gesellschaft möglich ist, ihren Glauben missionarisch leben und Führungsaufgaben
in verschiedensten Bereichen des Gemeinwesens übernehmen, damit der
Widerstandsfall, in dem es Gott zu geben gilt, was Gottes ist (vgl. Mt 22,
15-22), gar nicht erst eintritt.
Der Publizist Johannes Gross warnte einmal vor einem „katakombensüchtigen
Christentum“, welches aus dem Mißstand einer schrumpfenden Kirche das Ideal
einer „kleinen, aber feinen“ Kontrastgesellschaft konstruiere, die den „Staat
des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“ voreilig defätistisch
nichtchristlichen Kräften überlasse. Bekenntnisfaulheit und Bekenntnisfeigheit,
Bekenntnisunwilligkeit und Bekenntnisunfähigkeit führen langfristig in eine
Minderheitenposition, in der die Glaubensfreiheit leichter in Gefahr gerät,
zunächst faktisch gesellschaftlich, später auch rechtlich. Je mehr Mitglieder
mit Zivilcourage die Kirche heute hat, desto weniger Helden wird sie morgen
brauchen.
6. Christenverfolgungen der Gegenwart
Ausgerechnet das 20. Jahrhundert, das mit dem Anspruch von Humanismus,
Menschenrechten und Demokratie angetreten war, brachte ideologische Bewegungen
hervor, welche die Glaubensfreiheit teilweise bis vollständig abschafften und
die umfangreichsten Christenverfolgungen seit Neros und Diokletians Zeiten
organisierten. Zigtausende Geistliche und christliche Laien verschwanden in
Gulags und KZ’s, wurden misshandelt und ermordet, Millionen andere drangsaliert
und diskriminiert.
Die Landkarte der Unterdrückung und Verfolgung umfasst über 40 Staaten
insbesondere Nordafrikas, des Orients und Südostasiens, darunter die
aufstrebende Weltmacht China und die größte Demokratie der Welt, Indien. Seit
dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums dominiert dabei eine andere
Gefahr für die Freiheit der Kirche und das Leben ihrer Gläubigen: Der islamische
Fundamentalismus, Integralismus und islamistische Terrorismus.
Der Bonner Journalist Reinhard Backes hat 2005 in seinem Buch: „Sie werden euch
hassen – Christenverfolgung heute“ einen sehr guten Überblick über die Situation
der unterdrückten Kirchen unter dem Halbmond, unter Hammer und Sichel sowie im
Spannungsfeld der Interessen gegeben und dabei politische und
religiös-kulturelle Analysen mit aufschlussreichen Einzelfallschilderungen
verbunden.
Die ARD sendete vor wenigen Wochen einen erschütternden Bericht über
Christenverfolgungen in Palästina, Ägypten und Indonesien, wobei alltägliche
Gewalterfahrungen, die kaum Schlagzeilen machen, im Vordergrund standen – von
Grabschändungen über Steinewerfereien bis hin zu Straßenkämpfen und Morden. Im
Heiligen Land habe sich die Minderheitensituation der Kirche unter dem
feindseligen Klima eines aggressiven Islamismus immer weiter verschärft; früher
bekannte sich hier jeder Fünfte, heute nur noch jeder Fünfzigste Bewohner zum
christlichen Glauben.
7. Die Solidarität mit den verfolgten Brüdern und Schwestern
„In allen Zeiten ihrer Geschichte hat die Kirche jene, die ,für den Namen
Christi’ leiden, mit außerordentlicher Aufmerksamkeit, großer Sorge und
besonderer Liebe umgeben“, betonte Papst Johannes Paul II. im August 1983 in
Lourdes. Biblische Vorbilder bleiben die weinenden Frauen von Jerusalem,
Veronika, Simon von Cyrene und Maria.
Pater Werenfried ermahnt uns: „Diesen Dienst des Mitleidens durch einen Blick
der Ermutigung, durch einen Bissen Brot, durch Öl und Wein in den klaffenden
Wunden... diesen hohen Dienst der Liebe fortzusetzen ist eure Ehrenschuld
gegenüber der verfolgten Kirche, die Christus ist. All eure Gaben für die
verfolgten Brüder gelangen mit unfehlbarer Sicherheit in die Hände Jesu, der
ausdrücklich erklärt hat: ,Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das
habt ihr mir getan’“ .
Die verfolgten Christen haben gleichsam doppelte Priorität: als Notleidende und
als Glaubensbrüder. Paulus fordert im Galaterbrief (6,10): „Deshalb wollen wir,
solange wir noch Zeit haben, allen Brüdern Gutes tun, besonders aber denen, die
mit uns im Glauben verbunden sind“. Ich erinnere mich dankbar daran, dass meine
Eltern schon uns Kinder Nachtgebete lehrten, in denen „die Menschen, die um
ihres Glaubens willen verfolgt werden“, einen festen Platz hatten.
Im Ersten Korintherbrief heißt es: „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle
Glieder mit“ (1 Kor 12,26) – auch und gerade im Leib Christi. Aber wie sieht die
Realität aus? Die Solidarisierung mit den weltweit unter kommunistischer
Diktatur verfolgten Christen war in den westlichen Wohlstandsgesellschaften und
Kirchen teilweise eigentümlich lau.
Anklagen gegen die Machthaber etwa in der Tschechoslowakei, Rumänien oder der
DDR störten die „Entspannungspolitik“. Fürbittgebet, Hilfsaktionen,
Demonstrationen oder politische Initiativen wurden nur von engagierten
Minderheiten getragen. Unter den Helfern für die Brüder hinter dem Eisernen
Vorhang waren konservative Christen stärker präsent als die sogenannten
fortschrittlichen bzw. liberalen Kräfte.
Diese hofierten lieber marxistisch inspirierte Befreiungstheologen, sogar wenn
sie sich, wie etwa in Nicaragua, zu Handlangern linksautoritärer Regimes machen
ließen. Die unter dem realen Marxismus leidenden Christen gleich hinter der
Grenze konnten dagegen keine breite Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diese
Geschichte ideologisch bedingten Versagens bedarf noch der
historisch-moralischen Aufarbeitung. Aber auch in der Gegenwart lassen
emotionale Betroffenheit und Hilfe für die verfolgten Christen in weiten Teilen
unserer Kirche zu wünschen übrig.
8. Das Hilfswerk Kirche in Not
Hauptakteur der Hilfe für verfolgte Christen ist bis heute das 1947 durch Pater
Werenfried van Straaten gegründete internationale katholische Hilfswerk „Kirche
in Not“ mit 17 nationalen Sektionen und 600.000 Spendern, das in mehr als 130
Ländern der verfolgten, bedrängten oder armen Kirche hilft. Es verleiht der
notleidenden Kirche weltweit eine Stimme, wirbt um fürbittendes Gebet und
sammelte insgesamt schon rund drei Milliarden Euro für pastorale Projekte.
Schon die Tatsache, dass das Werk 2005 mit 74,4 Millionen Euro Spendengeldern
das zweithöchste Ergebnis seiner Geschichte erreichte, zeigt, dass auch nach dem
Zusammenbruch des Ostblocks keine Motivationskrise der Spenderklientel und
leider auch keine Aufgabenverminderung festzustellen war. In Deutschland bringen
rund 55.000 Spender jährlich etwa 12,5 Millionen für das Hilfswerk auf.
1999 empfahl „Kirche in Not“ die Wiedereinführung des jährlichen „Gebetstages
für die verfolgte Kirche“, zu welchem die katholischen deutschen Bischöfe bis
zum Jahr 1994 aufgerufen hatten. Aktuelle Berichte aus Indien, dem Sudan,
Pakistan, China und vielen anderen Ländern hätten gezeigt, wie aktuell und
wichtig internationale Solidarität für die bedrängten Christen weiterhin sei.
Dieser Initiative wurde bisher nicht entsprochen.
9. Christen als Verfolger – und als Verteidiger der Religionsfreiheit
Größere Aufmerksamkeit als verfolgte Christen fanden in der Medienöffentlichkeit
jahrzehntelang Christen als Verfolger. Nach der eigenen Leiderfahrung durch eine
etwa 300 Jahre lange Bedrängnis im Römischen Imperium mit rund zehn Wellen
grausamer Verfolgung – dem „Heldenzeitalter der Kirche“ – erlagen Christen
später der Versuchung, dort, wo sie die Macht hatten, selbst religiös unduldsam
zu werden und Andersgläubige oder Glaubensabweichler zu drangsalieren, zu
vertreiben oder umzubringen.
Düstere Kapitel hierbei sind etwa die Kolonialisierung der „Neuen Welt“, die
konfessionellen Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts und der Antijudaismus, wobei
sich politische, ökonomische und religiöse Motive unentwirrbar vermischten.
Jedenfalls gaben Christen ein schlechtes Beispiel, welches die Glaubwürdigkeit
der Kirche bis heute belastet, obwohl sie sich, etwa durch die Schulderklärungen
im Heiligen Jahr 2000, den Verbrechen im Namen Jesu längst selbstkritisch
gestellt hat.
Heute tritt die Kirche überzeugend für die Religionsfreiheit ein und nimmt sie
für sich in Anspruch. Auf einer Nachfolgekonferenz zur Schlußakte von Helsinki
hat der Vatikan 1988 zehn Rechte genannt, die ein Staat respektieren und
verteidigen muss: Das Recht der Eltern, ihren Kindern einen Glauben zu
vermitteln; die Respektierung religiöser Überzeugungen im weltlichen
Erziehungswesen; das Recht einer Person auf individuelle oder in Gruppen
organisierte religiöse Erziehung; das Recht jeder religiösen Gemeinschaft, ihre
Geistlichen in eigenen Institutionen auszubilden; das Recht religiöser
Gemeinschaften auf Gottesdienst in respektierten Gebäuden;
das Recht auf offenen Austausch religiöser Information und den Erwerb von
Schriften; das Recht zu religiösen Zwecken Medien einzurichten und zu anderen
Medien Zugang zu haben; das Recht sich ungehindert zu versammeln, einschließlich
Pilgerfahrten im In- und Ausland; das Recht auf Gleichbehandlung ohne
Diskriminierung in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder kultureller
Hinsicht; das Recht jeder religiösen Gemeinschaft, sich nach eigenem Gutdünken
zu organisieren“ .
10. Wachsende „Christianophobie“ im entchristlichten Abendland?
Auch in den „freien“ Gesellschaften des Westens mit ihrer garantierten
Religionsfreiheit gibt es subtile Formen des Kampfes gegen Christen und Kirche.
Papst Johannes Paul II. forderte deshalb 1983 in Lourdes, neben Tod, Gefängnis,
Deportation und Verbannung „raffiniertere Strafen“ nicht zu übersehen, etwa
soziale Diskriminierung oder subtile Freiheitseinschränkungen, die „eine Art
zivilen Todes“ bedeuten können; „auch ein materialistisches oder religiös
gleichgültiges Klima, das alle geistigen Bestrebungen erstickt“, könne den
Gläubigen viel Mut abverlangen, „einen klaren Blick zu bewahren, treu zu bleiben
und ihre Freiheit gut zu ebrauchen.
Auch für sie muss man beten. Fürchtet euch – sagt Jesus – vor denen, die die
Seele ins Verderben stürzen können (vgl. Mt 10,28)“ . Der amerikanisch-jüdische
Rechtsgelehrte Joseph Weiler spricht angesichts der Verhinderung einer Anrufung
Gottes im Entwurf für eine europäische Verfassung und der gescheiterten Berufung
des italienischen Ministers Rocco Buttiglione zum EU-Kommissar von einer
wachsenden „Christophobie“ in Europa.
Wäre Buttiglione Jude gewesen, hätte ihm niemand jene inquisitorischen Fragen
gestellt, deren Beantwortung ihn angeblich für das Amt disqualifizierte . Auch
andere Beobachter, etwa der große französische Politologe René Rémond , erkennen
in Europa eine antichristliche Tendenz. In Reaktion darauf wurde jüngst in Wien
ein „European Observatory on Christianophobia and Intolerance” gegründet .
Wo „Christen zunehmend aus dem öffentlichen Leben gedrängt“ und christliche
Grundsätze, wie etwa das Recht auf Leben von Anfang an“ zwar rechtlich
garantiert, „de facto aber außer Kraft gesetzt“ werden , stellt sich für jeden
Gläubigen die Gewissensfrage, welche materiellen Nachteile und sozialen
Blessuren zu erleiden er bereit ist. Solche Opfer könnten leichter fallen im
Blick auf das Vorbild der verfolgten Christen.
Ihr Widerstehen speist sich aus einer geistlichen Kraft, die wir heute nötig
brauchen. Ein prominenter Vertreter der vietnamesischen Märtyrerkirche mit einem
langen persönlichen Leidensweg, der im Jahr 2000 als erster Asiat im Vatikan die
päpstlichen Exerzitien hielt , brachte seine Treue zu Christus in einem Satz auf
den Punkt, den sich bequeme Konventionschristen hinter den Spiegel stecken
können: „Mein Glaube war nicht käuflich. Um keinen Preis konnte er abgelegt
werden, und sei es auch der Preis eines glücklichen Lebens“ (Kardinal
Francois-Xavier Nguyen Van Thuan).