Neubeginnen mit der Eucharistie
Ein Beitrag von Bischof Kurt Koch
zum Nachsynodalen Apostolischen Schreiben
von Papst Benedikt XVI.
„Sacramentum Caritatis“ – „Sakrament der Liebe“: Diesen Titel trägt das
Nachsynodale Apostolische Schreiben von Papst Benedikt XVI., das heute in Rom
der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Darin fasst der Papst die Einsichten und
Ergebnisse der Elften Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode vom 2. bis
23. Oktober 2005 über die Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt von Leben und
Sendung der Kirche“ zusammen.
Dieser Synode vorausgegangen war das von Papst Johannes Paul II. ausgerufene
Jahr der Eucharistie, das mit dem Internationalen Eucharistischen Kongress in
Guadalajara im Oktober 2004 begonnen hatte und am Weltmissionssonntag im Oktober
2005 abgeschlossen wurde.
Dieses Jahr der Eucharistie wurde vorbereitet auf der einen Seite durch das
große Jubiläumsjahr 2000, das stark eucharistisch geprägt gewesen ist, und auf
der anderen Seite durch die Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ von Papst
Johannes Paul II. und sein Apostolisches Schreiben „Mane nobiscum Domine“.
Das jetzt vorliegende Apostolische Schreiben von Papst Benedikt XVI. greift auf
die Beratungen der Bischofssynode im Oktober 2005 zurück und gibt auf der
Grundlage der fünfzig Propositiones („Vorschläge“), die die Synode dem Papst
übergeben hatte, Orientierungslinien für die Vertiefung des eucharistischen
Glaubens, für die würdige Feier der Eucharistie und für die missionarische
Aufgabe der Kirche, die von selbst aus der Eucharistie fließt.
Bereits in seiner Predigt bei der Beschließung der Bischofssynode am 23. Oktober
2005 hatte Papst Benedikt betont, dass es notwendig sei, „im Hinblick auf die
Eucharistie einen Neubeginn“ zu wagen und uns immer mehr in die Eucharistie zu
„verlieben“. Da Christus uns in der Eucharistie die Wahrheit der Liebe zeigt,
die das Wesen Gottes selbst ist, offenbart und vermittelt die Eucharistie die
Fülle der Liebe Gottes.
Der Titel des jetzt vorliegenden Apostolischen Schreibens – „Sacramentum
caritatis“ – zeigt an, dass die Eucharistie die lebendige Synthese der Liebe
Gottes zum Menschen und der Liebe des Menschen zu Gott und zum Nächsten ist.
Papst Benedikt ist es deshalb ein besonderes Anliegen, die enge Verbindung
zwischen dem Glaubensgeheimnis der Eucharistie, der Schönheit der liturgischen
Feier und dem aus der Eucharistie selbst entspringenden Dienst an den Menschen
zu vertiefen, den er als „Sakrament der Nächstenliebe“ (Nr. 5) bezeichnet. Diese
enge Verbindung wird in drei Teilen entfaltet, die dem Dreischritt von Glauben,
Feiern und Leben folgt.
Die Eucharistie glauben
Im ersten Teil - „Eucharistie, ein Geheimnis, an das man glaubt“ - zeigt der
Papst auf, wie sehr die Eucharistie die Herzmitte des katholischen Glaubens ist,
die diesen Glauben vom Geheimnis der Schöpfung bis zum Geheimnis der Vollendung
erleuchtet und vor allem das Geheimnis der Liebe des dreifaltigen Gottes
offenbart. Einen besonderen Akzent legt der Papst dabei auf die innere Zuordnung
aller Sakramente auf die Eucharistie und regt an, die traditionellen Wege der
kirchlichen Initiation zu überdenken, um den Glaubenden besser zu helfen, „zu
einer authentisch eucharistischen Lebenseinstellung zu gelangen“ (Nr. 18). Denn
die Eucharistie führt die christliche Initiation in den Glauben und in die
Kirche zu ihrer eigentlichen Fülle und stellt deshalb „Mitte und Ziel des
gesamten sakramentalen Lebens“ dar (Nr. 17).
Ausführlich geht der Papst auf die innere Verbindung zwischen der Priesterweihe
und der Eucharistie ein, deren Feier der Priester in der Person Christi als des
Hauptes des kirchlichen Leibes vorsteht. Der eucharistische Dienst des Priesters
muss deshalb ein demütiger Dienst für Christus und seine Kirche sein: „Jeder
Versuch, sich selbst zum Protagonisten der liturgischen Handlung zu machen,
widerspricht dem Wesen des Priestertums“ (Nr. 23).
Im eucharistischen Geheimnis erblickt der Papst aber auch die Grundlage für das
zölibatäre Leben des Priesters, dessen „obligatorischen Charakter“ er mit den
Synodenvätern für die lateinische Tradition „bestätigt“ (Nr. 24). Ebenso sieht
er im Geheimnis der Eucharistie als der intimsten Beziehung zwischen Christus
und seiner Kirche, die im Sakrament der Ehe sichtbar dargestellt und gelebt
wird, sowohl die Einzigkeit als auch die Unauflöslichkeit der christlichen Ehe
als Sakrament begründet.
Die Eucharistie feiern
Im zweiten Teil - „Eucharistie, ein Geheimnis, das man feiert“ - geht es dem
Papst um die würdige, das „Geheimnis des Glaubens“ adäquat zum Ausdruck
bringende liturgische Feier der Eucharistie. Er betont, dass in allem, was die
Eucharistie betrifft, ein „guter Geschmack für das Schöne“ wirksam sein soll
(Nr. 41). Besonderes Gewicht legt der Papst auf die authentische Teilnahme der
Glaubenden an der eucharistischen Liturgie.
Dabei versteht er darunter nicht in erster Linie die Ausübung besonderer
liturgischer Dienste, sondern die mit innerer Teilnahme erlebte liturgische
Feier selbst. Dazu regt er nicht nur mystagogische Katechesen über das
eucharistische Geheimnis an, sondern hebt auch die innere Beziehung zwischen der
liturgischen Feier und der eucharistischen Anbetung hervor.
Die beste Katechese über die Eucharistie und die wichtigste Voraussetzung für
die aktive Teilhabe der Glaubenden erblickt der Papst in der gut zelebrierten
Eucharistie selbst. In den Ausführungen über die Struktur der Eucharistiefeier
betont er vor allem, dass Wortgottesdienst und eucharistische Liturgie nicht
zwei nebeneinander gestellte Teile sein dürfen, sondern so eng miteinander
verbunden sind, dass sie eine gottesdienstliche Einheit bilden, und dass
folglich auch die Homilie, wie bereits das Zweite Vatikanische Konzil
hervorgehoben hat, „Teil der liturgischen Handlung“ selbst ist (Nr. 46).
Die Eucharistie leben
Der dritte Teil - „Eucharistie, ein Geheimnis, das man lebt“ - hebt hervor, dass
das geglaubte und gefeierte Geheimnis der Eucharistie im Leben des Christen
vollzogen werden soll, und zwar zuerst am Sonntag, der der „Ur-Feiertag“ des
christlichen Glaubens ist. Das Geheimnis der Eucharistie will aber auch den
Alltag des Christen so verwandeln, dass er selbst zum Gottesdienst wird, nämlich
im Sinne der Selbsthingabe an Gott und die Menschen, und dass das christliche
Leben eine „eucharistische Form“ annimmt. Denn Eucharistie, die sich nicht in
praktisches Liebeshandeln übersetzt, bleibt in sich fragmentiert.
Neu beginnen mit der Eucharistie
Eine eucharistische Spiritualität meint deshalb nicht nur die Teilnahme an der
Eucharistie und ihrer Verehrung; sie umfasst vielmehr das ganze Leben, und zwar
sowohl bei den Laien als auch bei den Priestern als auch im gottgeweihten Leben.
Aus der Eucharistie ergibt sich aber auch die Sendung der Christen in der Welt
von selbst. Denn die Eucharistie ist auch ein Geheimnis, das man verkündet und
das die Kirche der Welt anbietet. Dies geschieht in erster Linie dadurch, dass
Christen zu Zeugen der Liebe Gottes und so selbst Eucharistie, Hingabe des
eigenen Lebens werden.
Schließlich hebt der Papst hervor, dass die Eucharistie den Christen drängt,
selbst „gebrochenes Brot“ für andere zu werden. Da die Eucharistie einen
zutiefst sozialen Charakter hat, unterstreicht der Papst den notwendigen
Zusammenhang zwischen dem eucharistischen Geheimnis und dem sozialen Engagement.
Die Eucharistie verpflichtet die Christen, „Friedensstifter und Urheber von
Gerechtigkeit“ zu sein (Nr. 89) und am Aufbau einer Zivilisation der Liebe zu
arbeiten.
Erneuerung der Kirche von der Eucharistie her
Glauben – Feiern – Leben: Mit diesem Dreischritt erschließt Papst Benedikt das
Geheimnis der Eucharistie, das „wirklich geglaubt, andächtig gefeiert und
intensiv gelebt“ werden soll (Nr. 96). Denn nur so stellt es die Mitte nicht nur
des kirchlichen Lebens, sondern auch der Sendung der Kirche in der Welt dar. Das
Apostolische Schreiben „Sacramentum caritatis“ regt zur Meditation der
eucharistischen Herzmitte der katholischen Kirche an und gibt viele Anregungen,
wie dieses Geheimnis in der Tiefe des Glaubens vollzogen werden kann.
Indem Benedikt immer wieder die positiven und segensreichen Einflüsse der
Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils auf das Leben der Kirche
aufgreift, dokumentiert er unmissverständlich, wie sehr ihm an einer
konsequenten – freilich noch lange nicht ausgeschöpften – Umsetzung des Zweiten
Vatikanischen Konzils gelegen ist.
In seiner Überzeugung, dass jede große Reform in irgendeiner Weise verbunden ist
mit der „Wiederentdeckung des Glaubens an die eucharistische Gegenwart des Herrn
inmitten seines Volkes“ (Nr. 6), leistet „Sacramentum caritatis“ einen
wesentlichen Beitrag zur auch heute notwendigen Reform der Kirche im Sinne ihrer
Erneuerung aus den Quellen der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirche.
Dafür dürfen wir Papst Benedikt XVI. dankbar sein.
Solothurn (www.kath.net)